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Begegnung mit Auschwitz – Aussprechen, wofür es keine Worte gibt

Veröffentlicht am 5.11.2023

Nach sechzehnstündiger Busfahrt erreichten die 45 Schüler:innen des 13. Jahrgangs gemeinsam mit Eva Merkes und Martin Scheufens (Jahrgangsstufenleiter) und den beiden Bildungsreferentinnen der „STÄTTE DER BEGEGNUNG e. V. “; Lisa Hofmann und Simona Fuhrman, früh am Morgen Krakau.

Im Anschluss an eine kurze Stärkung stellten die Referentinnen zunächst das Programm vor, das uns in den nächsten Tagen erwarten sollte. Danach hatten die Schüler:innen erst einmal die Möglichkeit die wunderschöne Stadt Krakau selbst zu erkunden und ein Mittagessen in Eigenregie einzunehmen. Mittags stand dann eine kommentierte Führung mit dem Schwerpunkt „Ehemaliges jüdisches Leben in Krakau“ auf dem Programm. Abgerundet wurde dieser erste Tag mit einem besonderen Abend: ein gemeinsames Abendessen im „Klezmerhois“. Das „Klezmerhois“ ist ein einzigartiges Café, Restaurant, Hotel und zugleich eine Buchhandlung. Es befindet sich im jüdischen Viertel Kazimierz, 100 Meter von der Remuh-Synagoge entfernt, in einem Gebäude aus dem 15. Jahrhundert, das einst ein jüdisches rituelles Badehaus war. Das Essen, das im Restaurant serviert wird sowie das Ambiente erinnern an die Vorkriegszeit, als Kazimierz ein blühendes und lebendiges Viertel von Krakau war. Zu den Speisen der jüdischen Küche spielte das „The Nazzar Trio“ traditionelle Klezmer-Musik. Die Jugendlichen waren begeistert und applaudierten lautstark.

Der Höhepunkt des zweiten Tags war die Begegnung mit der Zeitzeugin und Überlebenden Lidia Maksymowicz. Lidia Maksymowicz war drei Jahre alt, als sie gemeinsam mit ihrer Mutter aus Minsk in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Während dieser Zeit musste sie Experimente durch den berüchtigten Lagerarzt Josef Mengele über sich ergehen lassen. Über eineinhalb Stunden erzählte Lidia Maksymowicz sehr eindrücklich von ihren Erfahrungen. „Man denkt immer, dass Kinder sich an nichts erinnern, aber diese Erfahrung hat sich mir eingeprägt“  sagte sie. Unter anderem berichtete sie, dass sie sich nicht an das Gesicht, sondern nur an die Hände ihrer Mutter erinnern konnte, da sie ihre Mutter im Lager nicht zu Gesicht bekam. Wenn sie von ihrer Mutter, die sich heimlich bei Nacht in ihre Nähe schlich, etwas zu essen bekam, dann waren es die Hände, die in ihrem Gedächtnis blieben.

Der Vortrag von Lidia Maksymowicz wurde von einem Dolmetscher übersetzt. Wiktoria Taberska, eine Schülerin des 13. Jahrgangs, die selbst polnische Wurzeln hat, überreichte ein kleines Geschenk und bedankte sich im Namen der Stufe auf polnisch für das Gespräch.

Am Donnerstag wurde dann der Ort Oświęcim ins Thema mit eingebunden. Dazu gehörte der Besuch des Jüdischen Museums und der dazugehörigen Synagoge sowie eine kleine Führung durch den Ort. Am Nachmittag stand dann der Besuch des Stammlagers (Auschwitz I) auf dem Programm. In zwei Gruppen wurden die Schüler:innen durch das Lager geführt. Halina Świderska, eine der Fremdenführerinnen,  gab uns zahlreiche Informationen und Hintergründe zu den Gräueltaten, die dort verübt worden sind. Viele Bilder sind uns allen im Kopf geblieben: die Fotografien der abgemagerten Häftlinge, die an den Flurwänden zu Hunderten hingen; die abgeschnittenen Haare, die hinter Glas aufgehäuft waren; die Kinderzeichnungen, die eine Künstlerin so tief an die Wände eines Ausstellungsraumes nachgezeichnet hat, dass man sich als Besucher hinknien muss, um sie zu betrachten; das riesige „Buch der Namen“ in der israelischen Länder-Ausstellung „Shoah“, in dem die Opfer der Shoah mit Namen aufgeführt sind…

Der Besuch des Vernichtungslagers Birkenau (Auschwitz II ) markierte dann den emotionalsten Teil der Gedenkstättenfahrt. Der Blick auf das Eingangstor mit den Gleisen, die erhaltenen Baracken, die Ruinen der Krematorien, der kilometerlange Zaun und die riesige Fläche des Lagers ließen uns verstummen. Der Titel „Begegnung mit Auschwitz – Aussprechen, wofür es keine Worte gibt“ schwebte uns nun ständig durch den Kopf.

Am Nachmittag konnten dann noch einzelne Angebote von den Schüler:innen ausgewählt werden. So hatten einige den erneuten Besuch des Stammlagers genutzt, um sich weitere Länderausstellungen anzusehen. Eine andere Gruppe besuchte die ständige Ausstellung von Marian Kołodziej im Maximilian-Kolbe-Zentrum in Harmęże. 1992 bewirkte ein Schlaganfall eine Wende im Umgang mit seiner Vergangenheit. Marian Kołodziej beginnt halbseitig gelähmt seine Erinnerungen (bis zu seinem Tod im Jahr 2009) mit Bleistift in einer schier erschlagenden Fülle von apokalyptisch anmutenden Skizzen aus sich „heraus zu zeichnen“.

Das Ziel der Gedenkstättenfahrt, „dass wir uns – ohne Schuldgefühle – der historischen Verantwortung für die von unseren deutschen Vorfahren begangenen Taten stellen“ und wir „vor diesem Hintergrund nach individuellen und politischen Konsequenzen, gesellschaftlichen Werten und nach zivilen Verhaltensweisen fragen wollen, denn Gedenken und Erinnern an die Vergangenheit sollten mit Verantwortungsübernahme in der Gegenwart verbunden werden“ wurde während der Fahrt überdeutlich thematisiert und in den zahlreichen Reflexionsgesprächen umfassend aufgegriffen und weitergedacht.

von Martin Scheufens